Rad und Tat

Rechtsberatung: Der Wunsch nach Teilhabe und Normalität

Christian Au, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Sozialrecht

Justitia | Foto: Igor Golovniov/shutterstock.com

Am Anfang eines Antragsverfahrens steht in der Regel der Wunsch nach Teilhabe und Normalität.

Deutschland ist ein sozialer Rechtsstaat. Dahinter verbirgt sich der Grundsatz, dass die Gemeinschaft dafür einsteht, dass diejenigen Unterstützung erhalten, die zur gleichberechtigten Lebensführung der Hilfe der Gemeinschaft aller bedürfen. Ergänzt wird dieser Grundsatz durch die Säulen der Sozialversicherungen (z. B. gesetzliche Krankenund Rentenversicherung), auf deren Leistungen man bauen kann, wenn man Beiträge in die entsprechenden Systeme eingezahlt hat. Sozial(versicherungs)leistungen haben alle eines gemeinsam. Sie sollen dem Anspruchsinhaber helfen, ein möglichst unbeeinträchtigtes und ›normales‹ Leben zu führen.

Auf dem Weg zur Leistung

Am Anfang eines Verfahrens über Sozialleistungen steht daher regelmäßig eine Vision, ein Wunsch nach Teilhabe und Normalität. Menschen mit Handicap haben wie alle Menschen Ziele und den Wunsch nach Normalität. Durch Gespräche mit Freunden, Ärzten, Therapeuten und anderen Wegbegleitern erhalten wir stetig wertvolle Hinweise auf mögliche Ansprüche, die den Alltag erleichtern können und ein Stück mehr Normalität in unsere Leben zurückbringen.

Das Antragsverfahren

Abhängig vom jeweiligen Sozialrechtszweig wird ein Verfahren durch die Stellung eines Antrags oder durch die Einleitung des Verfahrens von Amts wegen eröffnet. Den Grundsatz bildet hierbei das Antragsverfahren.
So werden insbesondere Leistungen der Kranken- und Pflegeversicherung, der Rentenversicherung oder der Agentur für Arbeit auf Antrag gewährt. Verfahren über Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung eröffnet die Unfallversicherung hingegen von Amts wegen, sobald sie Kenntnis von einem entsprechenden Sachverhalt erhält, in der Regel über die Unfallanzeige des Betriebs oder des Durchgangsarztes.

Alle Sozialleistungsträger sind verpflichtet, über etwaige Ansprüche in der konkret vorgetragenen Situation zu beraten und bei der korrekten und umfassenden Antragstellung behilflich zu sein. Anträge unterliegen in der Regel keinerlei Formerfordernissen, sie können daher schriftlich, persönlich zur Niederschrift, telefonisch, per Email oder per Fax gestellt werden.

Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist neben dem Antrag beispielsweise auf die Gewährung von Hilfsmitteln eine ärztliche Verordnung erforderlich.
Empfehlenswert ist es zudem, sich bereits frühzeitig mit einem Sanitätshaus oder einem anderen Hilfsmittelversorger in Verbindung zu setzen. Diese geben häufig auch wertvolle Tipps zu den Formulierungen auf der ärztlichen Verordnung.
Das Führen des Verfahrens kann einem Bevollmächtigten übertragen werden. Zu persönlichen Terminen darf eine dritte Person als Beistand mitgebracht werden. Der Sozialleistungsträger ermittelt den Sachverhalt von Amts wegen. Der Antragsteller ist allerdings im Rahmen des Verfahrens gewissen Mitwirkungspflichten im Interesse einer umfassenden Sachverhaltsermittlung unterworfen, die ihre Grenzen in verschiedenen Ausprägungen der Verhältnismäßigkeit finden.
Hat der Träger seines Erachtens alle anspruchsrelevanten Umstände ermittelt, schließt er das Antragsverfahren mit einem Bescheid ab.
Grundsätzlich soll der Träger über den Antrag innerhalb von sechs Monaten entscheiden. Versäumt er diese Frist ohne zwingenden Grund, kann er durch eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht zu einer Entscheidung über den Widerspruch gezwungen werden. Der Bescheid sollte aus der Entscheidung über die Bewilligung oder Versagung der beantragten Leistung und im Falle der Versagung einer Begründung der Entscheidung bestehen. Den Abschluss eines versagenden Verwaltungsaktes bildet die Belehrung über die rechtlichen Möglichkeiten zur Überprüfung des Ablehnungsbescheids – die Rechtsbehelfsbelehrung. Mit dem Bescheid ist das Antragsverfahren abgeschlossen.

Das Widerspruchsverfahren

Wurde die begehrte Leistung abgelehnt oder statt der begehrten eine andere Leistung bewilligt, so besteht das Recht, gegen diese Entscheidung Widerspruch einzulegen. Der Widerspruch muss schriftlich oder persönlich in einer Niederlassung des entsprechenden Trägers eingelegt werden. Ein telefonisch oder per E-Mail eingelegter Widerspruch ist NICHT ausreichend. Auch alle anderen Behörden sind zur Entgegennahme des Widerspruchs verpflichtet und leiten diesen dann an den richtigen Träger weiter. Die Frist zur Einlegung des Widerspruchs beträgt einen Monat ab Bekanntgabe der Entscheidung des Trägers. Im Falle einer fehlenden oder unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung kann der Widerspruch binnen eines Jahres eingelegt werden. Grundsätzlich soll der Träger über den Widerspruch innerhalb von drei Monaten entscheiden, sei es durch Abhilfe (also Bewilligung der Leistung) oder durch Zurückweisung des Widerspruchs durch einen Widerspruchsbescheid. Versäumt er diese Frist ohne zwingenden Grund, kann er wiederum durch eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht zu einer Entscheidung über den Widerspruch gezwungen werden. Der Widerspruchsbescheid soll die Entscheidung über den Widerspruch sowie eine Begründung der Entscheidung enthalten. Am Ende des Widerspruchsbescheids informiert die Rechtsbehelfsbelehrung über die für eine Klage einzuhaltende Monatsfrist und das für die Klage zuständige Sozialgericht.

Das Klageverfahren

Wurde der Widerspruch ganz oder teilweise zurückgewiesen, ist gegen den Widerspruchsbescheid der Klageweg eröffnet. Als besonderes Entgegenkommen gegenüber den Klägern im Sozialrecht ist hier ausnahmsweise das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der Kläger seinen Wohnsitz hat. Die Klage ist innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids schriftlich oder zur Niederschrift in der Geschäftsstelle des Sozialgerichts zu erheben. Im sozialgerichtlichen Verfahren wird auf Antrag ein unabhängiges Sachverständigengutachten eingeholt. Die medizinischen Dienste der Sozialleistungsträger, die im Antragsund Widerspruchsverfahren Begutachtungen durchführen, werden hierfür nicht eingesetzt.

Das sozialgerichtliche Eilverfahren

Widerspruchs- und Klageverfahren sind in der Regel leider sehr langwierig. Häufig sind aber Leistungen Gegenstand der Verfahren, auf die der Antragsteller nicht lange warten kann, ohne dass ihm erhebliche Nachteile drohen würden (zum Beispiel auf die Versorgung mit Einmalkathetern). Für diese Fälle besteht die Möglichkeit eines Eilantrags beim Sozialgericht. Der Eilantrag ist auch schon im Antragsoder Widerspruchsverfahren zulässig.

Die Kosten

Im Sozialrecht dürfen weder von Sozialleistungsträgern noch von den Gerichten Verfahrensgebühren erhoben werden. Antrags-, Widerspruchs- und Gerichtsverfahren sind für potenzielle Anspruchsinhaber daher grundsätzlich kostenfrei. Allerding entstehen Kosten, sofern ein Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen beauftragt wird. Gegebenenfalls werden die Kosten entsprechend des vereinbarten Tarifs von einer Rechtsschutzversicherung getragen.

Wer die Kosten eines Rechtsanwalts nicht mit eigenen finanziellen Mitteln tragen kann, kann für außergerichtliche Verfahren Beratungshilfe beantragen. Die Beratungshilfe wird beim Amtsgericht des Wohnortes und nicht beim Sozialgericht beantragt. Für das Gerichtsverfahren kann der Rechtsanwalt unter den entsprechenden Voraussetzungen der finanziellen Bedürftigkeit des Mandanten Prozesskostenhilfe beantragen.
Soweit der Widerspruch oder die Klage erfolgreich war, werden die Kosten eines eingeschalteten Rechtsanwalts auf der Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes durch den Sozialleistungsträger erstattet. Wurde im Rahmen einer Honorarvereinbarung vereinbart, dass der Rechtsanwalt eine höhere Vergütung erhält, als sie das RVG vorsieht, sind die dadurch entstehenden Mehrkosten von den Trägern auch bei erfolgreichem Verfahrensausgang nicht zu erstatten.

Leistungsrecht am Beispiel der Hilfsmittelversorgung

Exemplarisch für viele andere Ansprüche auf Sozialleistungen soll hier abschließend die Hilfsmittelversorgung betrachtet werden. Der Anspruch auf Hilfsmittelversorgung richtet sich in Abhängigkeit von den konkreten Lebensumständen des Antragstellers gegen unterschiedliche Träger. Neben der Krankenversicherung kommen hier insbesondere die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (insbesondere Berufsgenossenschaften), die Rentenund die Pflegeversicherung, die Agentur für Arbeit und die Jobcenter, das Integrationsamt oder der Sozialhilfeträger in Frage.

Die Träger haben eingehende Anträge unverzüglich darauf zu prüfen, ob sie der für diesen Anspruch zuständige Träger sind. Verneinen sie das, haben sie den Antrag an den zuständigen Träger weiter zu leiten. Unter gewissen Umständen müssen sie die Anträge sogar binnen 14 Tagen weiterleiten, um nicht nach den Leistungsgesetzen aller in Frage kommender Träger leistungspflichtig zu werden.
Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung besteht ein Anspruch auf eine Leistung dann, wenn sie ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und die Versorgung das Maß des Notwendigen nicht überschreitet (sog. Wirtschaftlichkeitsgebot). Versäumt die Krankenkasse die Frist zur Bescheidung (drei bzw. fünf Wochen bei Einholung eines Gutachtens), resultiert daraus eine sog. Genehmigungsfiktion, die nach derzeitig vorherrschender Meinung der Sozialgerichte eine Leistungspflicht unabhängig von der medizinischen Notwendigkeit auslöst.

Speziell der Anspruch auf die Versorgung mit einem Hilfsmittel besteht dann, wenn sie im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder durch Rechtsverordnung ausgeschlossen sind.

Keine Anspruchsvoraussetzung ist es, dass das Hilfsmittel im Hilfsmittelverzeichnis gelistet ist.

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In der Zusammenarbeit mit vier kompetenten Rechtsanwälten aus verschiedenen Regionen Deutschlands, bietet der DRS seinen unseren Mitgliedern eine kostenlose Erstberatung rund um Rehabilitation und Reha-Sport – nach vorheriger Absprache mit den unten aufgeführten Fachanwälten – an.
Durch die ehrenamtliche Mitarbeit der Rechtsanwälte können wir Ihnen die Möglichkeit geben, sich zu Ihren Problemstellungen etwa Fortführung des Reha-Sports, Ablehnung eines Aktivrollstuhls oder Verweigerung einer Kostenübernahme für den E-Rollstuhl zu informieren und beraten zu lassen. Die Rechtsanwälte nennen Ihnen potenzielle Vorgehensweisen und geben Hilfestellung bei Finanzierungs- und Beratungsmöglichkeiten.

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